Schwammstädte: Die Herausforderung liegt im Bestand

Andrea Hackenberg

23. März 2023

Regenwasser speichern, Grünflächen ausbauen – das Konzept der Schwammstadt soll die Folgen des Klimawandels abfedern. Damit das funktioniert, müssen Stadtplanung, Wasserwirtschaft, Hoch- und Tiefbau sowie Landschaftsplaner deutlich enger mit Pflanzenexperten zusammenarbeiten als bisher. Für die konkrete Umsetzung fehlen jedoch wissenschaftliche Erkenntnisse speziell zum Pflanzenwachstum.

Als Teil der jetzt beschlossenen Nationalen Wasserstrategie“ sieht das Schwammstad-Prinzip u.a. vor, Regenwasser lokal zu nutzen, statt es zu kanalisieren und abzuführen. Der Ausbau von Grünflächen, die das Wasser aufsaugen wie ein Schwamm, soll die Versickerung fördern. In der Praxis könnte das aber Probleme nach sich ziehen, für die es derzeit gar keine abgesicherten Lösungen gibt.

„Es ist ein guter Gedanke, Regenwasser aufzufangen“, sagt Professor Hartmut Balder, Leiter des Instituts für Stadtgrün Falkensee im Gespräch mit Bauwende-News. „Es gibt allerdings kaum Langzeitstudien darüber, was passiert, wenn eine Stadtstruktur wieder an eine größere Zufuhr von Wasser angepasst werden soll.“ Jahrzehntelang habe man die Grundwasserspiegel unter den Städten durch Entnahme und Versiegelungen künstlich gesenkt. „Wenn man das alles wieder anheben würde, stehen viele Bäume mit den Wurzeln im Wasser, außerdem kann es zu überfluteten Kellern kommen.“ Der Wissenschaftler, Emeritus der Berliner Hochschule für Technik, hält die „Nationale Wasserstrategie“ für „nicht zu Ende gedacht“, vor allem in Bezug auf die Umsetzung im Bestand. „Bei Neuanlagen ist es leichter, Grünflächen von Anfang an einzuplanen“, sagt er. Die Herausforderungen hier: die auskömmliche Flächendimensionierung für das Gestaltungsgrün und die Wurzellenkung, um Schäden an der technischen Stadtstruktur zu vermeiden, u.a. an Leitungen oder Straßenbelägen. In bestehenden Siedlungen sei die Nachjustierung allerdings eine Herausforderung, weil man nie genau abschätzen könne, wie der Baugrund und das bestehende Grün reagieren – etwa, wenn ein gewachsener Baumbestand mit zu viel Wasser versorgt wird und Staunässe entsteht. Dies habe Wurzelfäule und die eingeschränkte Verkehrssicherheit zur Folge, was Kosten nach sich ziehen kann, so Balder. 

Wurzelschäden an der technischen Infrastruktur und Trockenschäden in der Baumkrone

Wurzelschäden an der technischen Infrastruktur und Trockenschäden in der Baumkrone. Credit: H. Balder

Ein Zuviel an neuer Begrünung könne das Hochwasserrisiko paradoxerweise sogar steigern: „Die Versickerungsleistung eines Bodens kann nachlassen, wenn plötzlich mehr Wurzeln drinstecken“, erklärt Balder. „Kommt es dann zu Starkregen, muss mehr Wasser auf einem bebauten Grundstück versickern als ursprünglich vom Planer errechnet. Das scheitert dann daran, dass sich der Boden durch die Wurzeln verdichtet hat. Die Rechnung, dass eine Entsiegelung von Flächen vor Hochwasser schützt, geht also nicht immer auf.“

Auch dem Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) fehlt es im Konzept der Bundesregierungan hinreichend konkreten Maßnahmen, mit denen eine wassersensible Bebauung im Bestand durchgesetzt werden kann.“ Zwar enthalte die Strategie hierzu zahlreiche Zielvorgaben und unterscheide selbst deutlich zwischen Bestand und Neubau. „Im weiteren Verlauf wird allerdings nicht deutlich genug, wie diese Zielvorgaben – bis auf die Einrichtung von kommunalen Beratungsstrukturen – konkret im Bestand durchgesetzt werden sollen. Gerade im Bestand werden aber zahlreiche Veränderungen für eine durchgängig wassersensible Bebauung, den urbanen Überflutungs- und Hitzeschutz notwendig sein“, so das IKEM in einer Stellungnahme.

Mit Wasser gefüllte Mulde und Baumwachstum mit zu engem Standraum

Mit Wasser gefüllte Mulde und Baumwachstum mit zu engem Standraum. Credit: H. Balder

Wo die Politik im Vagen bleibt, kommt es auf die Kreativität der Bürgerschaft an. Die Berliner Regenwasseragentur sucht aktuell nach Ideen, „die dabei helfen, den Umbau Berlins zur Schwammstadt zu beschleunigen“, heißt es in einer aktuellen Mitteilung. „Dort, wo neue Quartiere entstehen, gelingt das bereits sehr gut. Nicht so im Bestand, wo der Fortschritt langsam und schwer wahrnehmbar ist.“ Hier seien Infrastruktur, Flora und Fauna am stärksten von Hitze, Trockenheit und Starkregen betroffen. Die bundesweit beispielhaft agierende Agentur ruft die BürgerInnen deshalb auf, bis zum 1. Mai Konzepte einzureichen, die das ändern können. Zudem listet sie auf ihrer Website Beispiele aus ganz Deutschland auf, wo eine Nachjustierung im Bestand bereits gelungen ist – vom Gewerbestandort mit Wasserbecken über die Schule mit entsiegeltem Pausenhof bis hin zum Mehrfamilienhaus mit Dachbegrünung.

Stauwasser im Bestand

Stauwasser im Bestand. Credit: H. Balder

Um die Verwirklichung von Schwammstädten zu forcieren, haben sich die Bauverbände in Bayern bereits 2019 zur Verbändekooperation Wassersensibles Planen & Bauen zusammengeschlossen. Deren zentrale Forderung ist es, Wasser „frühzeitig in der Regional- und Bauleitplanung unserer Siedlungen sowie bei der Planung unserer Gebäude und Infrastruktur und letztlich auch bei der Bauausführung“ zu berücksichtigen. Nur so ließen sich „kostengünstige und konsensfähige Lösungen finden, mögliche Schäden reduzieren und auch langfristig lebenswerte Siedlungen schaffen“, heißt es auf der Website der Kooperation. Seit ihrer Gründung hat sie diverse Veranstaltungen zum Thema organisiert und den „Leitfaden wassersensible Stadtentwicklung“ für Planer und Gemeinden herausgegeben, der kostenlos heruntergeladen werden kann.

Professor Hartmut Balder hält einen engeren Austausch zwischen Stadt- und Landschaftsplanung, Wasserwirtschaft, Hoch- und Tiefbau mit den Pflanzenwissenschaften für dringend geboten, um Schwammstadt-Prinzipien in Deutschland funktional zu etablieren. „Dazu müssen wir uns die gebauten Situationen und die Folgen für die Natur weltweit anschauen und daraus lernen, was derzeit viel zu selten der Fall ist“, sagt er. „Wir brauchen große Forschungsprojekte, ähnlich wie die zu den Waldschäden in den 1980er Jahren, um alle offenen Fragen zu klären. Wenn man nicht weiß, über welche Situation man redet, ist die Gefahr groß, dass Planer und Verantwortliche etwas auslösen, das nach hinten losgeht. Vielleicht nicht gleich heute oder morgen, aber in 10, 20 oder 30 Jahren.“

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