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Wie Zirkularität die Designsprache verändert
Die Auseinandersetzung mit Zirkularität richtet sich häufig auf Stoffströme und technische Prozesse. Die Podiumsdiskussion Schön, begehrenswert, im Kreislauf auf der Greenterior Stage zeigte jedoch, dass die gestalterische Dimension ebenso komplex und folgenreich ist wie die materielle: Wie verändert sich die Designsprache, wenn sie nicht mehr vom Neuen, sondern vom Weiterverwenden ausgeht?
Auf dem Podium diskutierten Carola Ebert (Professorin für Interior Design an der Berlin International University of Applied Sciences), Fabian Freytag (FABIAN FREYTAG STUDIO), Konstantin Thomas (Industriedesigner bei Sedus) und May-Britt Frank-Grosse (BauNetz ID), die die Runde moderierte. Die Gesprächspartner*innen vertraten damit drei unterschiedliche Perspektiven – akademisch-theoretisch, gestalterisch-experimentell und industriell-praktisch – was die Diskussion breit aufspannte.
Zirkularität: sichtbar oder unsichtbar?
Den Auftakt bildete die Frage, ob Zirkularität überhaupt eine eigene Ästhetik benötigt. Carola Ebert argumentierte, dass Kreislauffähigkeit nicht zwangsläufig sichtbar sein müsse: Zirkularität sei zunächst eine planerische Qualität und keine Stilvorgabe. Materialien könnten zirkulär organisiert sein, ohne eine explizite Formensprache zu transportieren.
Fabian Freytag hielt dagegen, dass ein erkennbarer Ausdruck durchaus hilfreich wäre. Die heutige Gestaltsprache sei uneinheitlich und auf der Suche nach Orientierung. Eine klare ästhetische Vision würde Zirkularität als entwerferische Haltung stärken. Er erinnerte an die 1970er-Jahre, als konstruktive Offenheit und Materialexperimente selbstverständlicher waren – ein Grund dafür, warum viele Möbel aus dieser Zeit heute so begehrt sind. Zirkuläres Design brauche, so seine Position, einen mutigeren ästhetischen Ausdruck.
Materialqualität, Marktlogiken und Konstruktionsprinzipien
Konstantin Thomas ergänzte die Debatte um die Qualität der eingesetzten Rohstoffe. Unternehmen wie Sedus arbeiteten schon lange mit langlebigen Materialien und reparierbaren Produktlogiken; die aktuellen Transformationen verstärkten vorhandene Prinzipien. Für die Kreislaufwirtschaft sei dies zentral, weil Wiederverwendung und Demontagefähigkeit unmittelbar an Material- und Fertigungsqualität gekoppelt seien.
Freytag wies zudem auf Marktlogiken hin, die mit Zirkularität häufig kollidieren. Lange habe Minimalismus das Design dominiert – ein Ansatz, der oftmals auf unsichtbare Fügungen und geschlossene Oberflächen setzte. Kreislauffähige Produkte hingegen müssten technisch gefügt, reparierbar und gut zerlegbar sein, was zwangsläufig sichtbarere Konstruktionen mit sich bringe. Dass diese Produkte bisher selten in die Serienproduktion gelangen, wertete er als Zeichen einer Branche, die zwar weiß, was nötig wäre, aber in Teilen noch zögert, diesen Schritt konsequent zu gehen. Oder in Freytags Worten: „Der Bob ist in der Bahn, wir trauen uns nur noch nicht so richtig, aufzuspringen.“
Bestand als Ressource und verlorener Schatz
Ebert lenkte den Blick auf ein bislang unterschätztes Potenzial: den umfangreichen Bestand an älteren Möbeln, der abseits des populären Mid-Century-Designs kaum Nachfrage erzeugt. Antiquitätenhändler säßen auf großen Lagern hochwertiger Stücke, die jedoch gestalterisch nicht im Trend lägen. Würde dieser Bestand verlorengehen, gingen gleichzeitig wertvolle Ressourcen und zirkuläre Potenziale verloren. Ästhetische Präferenzen hätten somit direkte Auswirkungen auf Nachhaltigkeit.
Freytag bestätigte diese Einschätzung und beschrieb seine Praxis, mit gebrauchten Möbeln und Bauteilen zu arbeiten, die über Onlineplattformen zugänglich sind. Für ihn ist „die Welt voll von Bauteilen“ – gemeint sind Elemente, die sich neu kombinieren und transformieren lassen. Dass solche hybriden Objekte teilweise nicht in etablierte Produktkategorien passen, wertete er als Hinweis darauf, dass Regularien, Berufsprofile und Ausbildungssysteme noch nicht an die Erfordernisse zirkulären Gestaltens angepasst sind. So habe er etwa Probleme damit, diese Produkte in die USA zu verschiffen, da der Zoll dafür keine eigene Kategorie aufweise und die Einfuhr verhindert.
Begehrlichkeit, Patina und Kundenerwartungen
Zum Abschluss rückte die Frage der kulturellen Akzeptanz in den Vordergrund. May-Britt Frank-Grosse betonte, dass Zirkularität ohne veränderte Vorstellungen von Perfektion, Gebrauchsspuren und Patina kaum erfolgreich sein könne. Carola Ebert ergänzte, dass Kundenbilder bereits im Designprozess mitgedacht werden und wirft Fragen auf: Ist Patina akzeptiert? Dürfen Materialien fremde Spuren mitbringen? Und wie vermittelt man Gestaltungsbilder, die von gewohnten Mustern abweichen – etwa Böden aus wiederverwendeten Holzbohlen mit unregelmäßigen Fugen?
Freytag zeigte sich optimistisch und verwies darauf, dass absolute Perfektion heute seltener eingefordert werde. Plattformen wie Concular oder Kleinanzeigen trügen dazu bei, eine Ästhetik des Gebrauchten zu legitimieren. Die größere Herausforderung sieht er in ökonomischen Strukturen, die weiterhin auf Verschleiß ausgerichtet sind: In vielen Branchen, etwa im Automobilbereich, sei die Qualität historischer Oberflächen häufig höher gewesen als bei heute industriell optimierten Produkten.
Ob sichtbar oder unsichtbar: Zirkularität ist längst zu einem zentralen Treiber der zukünftigen Designsprache geworden.
Von Stephan Redeker
