Baukulturelle Bildung – eine Frage des guten Geschmacks?

25. November 2024

Von Saskia Schabon

Foto: Foto: Heinze GmbH, Marcus Jacobs

„Wir können uns keinen einzigen Neubau mehr leisten. Wir können uns keinen Abriss mehr leisten. Wir müssen zusehen, dass wir mit dem fertig werden, was schon gebaut ist!“ – mit diesen deutlichen Worten eröffnet Dr. Turit Fröbe ihren Vortrag „Bauwende braucht Bildung! Von Schottergärten, Kunstrasen, Fototapetenzäunen …“ auf dem Klimafestival 2024 in der Station Berlin. Auf dem Weg zu einer Umbaukultur sei es unerlässlich die Bürger*innen mitzunehmen. Doch auf ihren zahlreichen Streifzügen durch die Eigenheimsiedlungen unserer Republik, bei denen sie Bausünden dokumentiert, musste die Architekturhistorikerin und Urbanistin feststellen, dass es massiv an breiter baukultureller Bildung mangelt.

Vollständige Grundstücksversiegelung, Plastikpflanzen oder Fototapetenzäune mit allen nur erdenklichen Materialimitationen sowie der neuste Trend zum Kunstrasen beherrschen die deutschen Vorgärten. Fröbes Publikum weiß beim Anblick ihrer Fotos oftmals nicht, ob es weinen oder lachen sollen, so absurd muten die Kreationen mancher Eigenheimbesitzer*innen an. Die Referentin stellt sich und dem Publikum die Frage, ob hier das Angebot der Hersteller und Baumärkte ein Bedürfnis schafft oder ob diese lediglich auf eine vorhandene Nachfrage reagieren.

Auch wenn die Antwort auf diese Frage noch aussteht, sieht Fröbe die Lösung des Problems in einer gesamtgesellschaftlichen baukulturellen Bildung, die ins Schulsystem integriert werden müsse. Dabei seien bereits einige baukulturelle Themen in den Lehrplänen vorgesehen, die dann aber von den Lehrkräften zugunsten eines anderen Themas beiseitegelassen werden. Oder aber es werden Häuser aus Schuhkartons gebastelt und Tetraeder aus Zahnstochern – was definitiv nicht zur baukulturellen Bildung beitrage, meint Fröbe. Überholte Dinge wie eine „1950er-Jahre-Stilkunde“ sollten ihrer Meinung nach zeitgemäßen Themen weichen.

Foto: Foto: Heinze GmbH, Marcus Jacobs

Daher müsse bei den Lehrkräften angesetzt werden, diese sollten entsprechend geschult werden und zwar in allen Ausbildungsphasen; Studium, Referendariat und Fortbildung. Bisherige Bildungsangebote der Architektenkammern sollten sich ebenfalls an Lehrkräfte und Schüler*innen gleichermaßen richten. Nur so könne baukulturelle Bildung nachhaltig werden – ein Blick nach Finnland zeige, dass das funktioniere.
Um dieses Ziel zu erreichen, brauche es einen Haushaltstitel Förderung, appelliert Fröbe an ihr Publikum. Jede Stadt benötige eine entsprechende Vermittlungsabteilung – bis jetzt habe nur Wolfsburg eine solche. Die Aufnahme der baukulturellen Bildung in die baukulturellen Leitlinien des Bundes vergangene Woche war ein wichtiger erster Schritt, nun müsse man das Momentum nutzen und weitere Schritte folgen lassen – hier seien auch Verbände und die Bauindustrie gefragt.

Dass sich das Engagement lohne, da ist sich Fröbe sicher: „Es braucht nur ein Aha-Erlebnis, um die Menschen für Baukultur zu interessieren und zu begeistern.“ Bei ihr habe 2001 ein irritierend ins Stadtbild integrierter Stromkasten in Bielefeld den Anstoß gegeben, sich mit dem Thema zu beschäftigen. „Wäre ich damals auf der anderen Straßenseite gelaufen, wäre mein gesamtes Berufsleben komplett anders verlaufen!“

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