
Foto: Markus Jacobs
Was im Inneren wirklich zählt
Die Diskussion um die Bauwende fokussiert sich häufig auf Hüllen, Energiesysteme und urbane Strukturen. Der Thementalk zum Green Officedesign auf der GREENTERIOR-Stage zeigte jedoch, dass ein wesentlicher Teil der Klimawirkung im Innenraum entsteht. Moderatorin und Baunetz-ID-Chefredakteurin May-Britt Frank-Grosse eröffnete mit einer Kennzahl, die die Relevanz schlagartig verdeutlichte: Über die Lebensdauer eines Gebäudes verursacht das Interior nahezu die gleiche Menge CO₂ wie der Hochbau. Damit war der Ausgangspunkt gesetzt, um Green Officedesign nicht länger als Detailthema, sondern als strukturellen Hebel zu begreifen. Mit Susanne Brandherm (brandherm + krumrey), Sven Urselmann (urselmann interior) und Chris Middleton (Kinzo) prägten drei unterschiedliche fachliche Perspektiven die Session, die gestalterische, systemische und prozessuale Aspekte des Nachhaltigen Interiordesigns unterstrichen.
Innenräume als unterschätzter Einflussfaktor
Susanne Brandherm wies darauf hin, dass das Interior in Nachhaltigkeitsdiskursen systematisch unterbelichtet bleibt. Gleichzeitig zeigte sie auf, wie stark sich die CO₂-Bilanz durch langlebige Gestaltung beeinflussen lässt. Am Beispiel des Radisson Collection Royal Hotel in Kopenhagen – dem von Arne Jacobsen entworfenen SAS Royal Hotel – illustrierte sie, dass ikonische Möbelstücke wie der Egg Chair oder der Swan Chair über Jahrzehnte hinweg genutzt, restauriert und weiterhin in Betrieb gehalten werden. Dadurch leisten sie einen langfristigen Beitrag zur Ressourcenschonung.
Ihr Praxisbericht machte zudem deutlich, dass nachhaltige Innenraumgestaltung weniger eine Frage der verfügbaren Produkte als der Projektkultur ist. Während roh belassene Oberflächen und flexible Raumprogramme den Materialeinsatz reduzieren können, führen Entscheidungen für vollständige Möbel-Neubestückungen trotz nachhaltig formulierter Ziele zu erheblichen Emissionen. Damit verdeutlichte sie: Ohne Konsens unter Auftraggebern bleibt nachhaltiges Planen in Teilen wirkungslos.
Systemische Perspektive auf Kreislaufprozesse
Sven Urselmann argumentierte grundsätzlicher: Das Problem sei weniger die Auswahl einzelner Materialien als die Linearität der gegenwärtigen Wirtschaftslogik. Kreislauffähige Planung erfordere deshalb nicht nur technische Anpassungen, sondern ein Umdenken in der gesamten Prozesskette. Seine realisierten Projekte machten deutlich, welches Potenzial darin liegt: 88 Prozent CO₂-Reduktion bei den Abfallwirtschaftsbetrieben Münster und 72 Prozent bei den Poha Co-Spaces – ermöglicht durch konsequentes Re-Use und durch Bauteile, die bereits in der Planung auf Demontagefähigkeit ausgelegt wurden.
Urselmann positionierte Re-Use klar als unternehmerische Chance. Die wachsende Zahl umgesetzter Projekte zeige, dass zirkuläre Ansätze marktfähig werden – auch wenn sie noch nicht flächendeckend etabliert sind.
Planungspraktiken im Wandel
Chris Middleton von Kinzo ergänzte die Debatte um die operative Ebene. Er machte deutlich, dass nachhaltige Innenraumgestaltung zu veränderten Planungsabläufen führt. Frühzeitige Materialrecherchen, Bestandsbewertungen und iterative Teamabstimmungen verschieben Aufgaben in frühere Leistungsphasen und erhöhen den zeitlichen Aufwand. Damit wächst der Bedarf an neuen Honorar- und Organisationsmodellen.
Gleichzeitig, so Middleton, trügen Plattformen wie Concular dazu bei, Re-Use in eine reproduzierbare, professionelle Struktur zu überführen. Nachhaltigkeit werde damit operationalisierbar – jenseits individueller Überzeugungen.
Relevanter Fortschritt, offene Fragen
In der abschließenden Diskussion zeigte sich ein eindeutiger Trend: Radikales Entfernen und Erneuern gilt zunehmend als überholt. Zirkularität wird zwar noch nicht vollständig erreicht, dient jedoch bereits heute als Leitlinie vieler Projekte. Zudem wächst der soziale Druck. Mitarbeitende erwarteten, dass Unternehmen nachhaltige Prinzipien sichtbar in ihren Arbeitswelten umsetzen.
Eine zentrale Frage blieb jedoch bestehen: Wie lassen sich kreislauffähige Produkte wirtschaftlich so gestalten, dass sie für Kund:innen attraktiv bleiben? Die Antwort darauf ist noch offen. Der Thementalk machte jedoch deutlich, dass Interior Design im Kontext der Bauwende kein Randthema mehr ist, sondern ein wesentlicher Teil der Lösung – quantitativ, prozessual und systemisch.
Von Stephan Redeker

